Peter Prange

Alle Erinnerung ist Gegenwart
Vom Werden und Vergehen – Ein Stundenbuch
„Selten bin ich in ein Buch so zufällig hineingestolpert wie in dieses. Aber kaum eines hat sich für mich als so zwingend notwendig erwiesen.“
Zu seinem 70. Geburtstag macht Bestseller-Autor Peter Prange allen Buch-Enthusiasten ein ganz besonderes Geschenk: In seinem reichbebilderten Stundenbuch "Alle Erinnerung ist Gegenwart" erzählt er seine eigene Lebensgeschichte. Und seine ganz persönlichen Einsichten über das menschliche Dasein zwischen Werden und Vergehen. Dabei gibt er auch einen Einblick in sein privates Fotoalbum - von seiner Kindheit im Sauerland als Sohn eines Bettenhändlers bis zu jener für ihn reservierten Grabstelle auf dem berühmten Tübinger Stadtfriedhof in nächster Nähe zu Hölderlin, Uhland und Walter Jens.
Lesung: Einleitung
Interview: Bestseller-Autor Peter Prange erfindet sich neu!
Der Romancier überrascht zu seinem 70. Geburtstag mit einem autobiografischen wie lebensphilosophischen Stundenbuch mit vielen Fotos aus dem privaten Familienalbum
Peter Prange ist der große Romancier der deutschen und europäischen Geschichte. Seine historischen Romane wurden in insgesamt 24 Sprachen übersetzt und über dreieinhalb Millionen Mal verkauft. Zu seinem 70. Geburtstag, am 22. September, erscheint, neben dem zweiten und abschließenden Band seines Romans „Herrliche Zeiten“ auch das autobiografische Stundenbuch "Alle Erinnerung ist Gegenwart". Darin erleben wir einen neuen, bislang völlig unbekannten Peter Prange.
Im Stundenbuch erzählt der Autor zum ersten Mal seine eigene Lebensgeschichte und gibt einen exklusiven Einblick in sein privates Fotoalbum - von seiner Kindheit im Sauerland als Sohn eines Bettenhändlers bis zu jener für ihn reservierten Grabstelle auf dem berühmten Tübinger Stadtfriedhof in nächster Nähe zu Hölderlin, Uhland und Walter Jens.
Wir sprachen mit Peter Prange über sein Leben, seine Arbeit und warum uns ein Autor (vermeintlich) trivialer Historien-Romane jetzt mit einem so philosophischen wie humorvollen Stundenbuch überrascht.
Herr Prange, Sie gelten als der große Romancier der deutschen und europäischen Geschichte. Bisher wusste Ihr Publikum immer relativ genau, was sie beim Kauf eines Prange-Buches erwartet, im Stundenbuch lernt man Sie jetzt von einer ganz anderen Seite kennen. Erzählen Sie uns von der Lust, sichere literarische Pfade zu verlassen und sich, wie man neudeutsch sagt, „neu zu erfinden“.
Peter Prange: Um ehrlich zu sein, ich wäre von mir aus nie auf die Idee gekommen, ein so autobiografisches Buch wie dieses zu schreiben. Wer bin ich, um von meinem Leben und meinen Gedanken zu erzählen? Der Anstoß ging von TriMax Verleger Jürgen Stolberg aus. Ich hatte auf Facebook meine Grabstelle auf dem Tübinger Stadtfriedhof gepostet, mein ultimatives Honorar, das ich für meine Mitwirkung an einer Schriftenreihe zum 950. Tübinger Stadtjubiläum bekam. Der Post brachte Jürgen Stollberg auf eine Idee: ein Bildband in der Tradition des Stundenbuchs, mit „Memento mori“-Motiven des Friedhofs, auf dem ich einmal zur letzten Ruhe gebettet werde, um vor diesem Hintergrund über mein eigenes Werden und Vergehen zu reflektieren, in Essays, Anmerkungen und Causerien zu elementaren Fragen des Lebens: Woran ich glaube und worauf ich hoffe … Wofür ich lebe und liebe … Was Altern und Sterben für mich bedeutet … Und nicht zuletzt: Weshalb ich schreibe … So entstand dieses Buch, das keinem herkömmlichen Genre entspricht. Es ist weder eine Autobiografie noch ein Bilderbuch aus meinem Leben, eher eine illustrierte Autofiction meiner geistigen und schriftstellerischen Entwicklung.
Das Buch enthält zahlreiche, bemerkenswerte Fotos aus ihrem Familienalbum. Man begleitet Sie in Bild und Text von der Geburt bis zum heutigen Tag. Man erlebt den übermütigen, trinkenden, verliebten, verzweifelt dichtenden, literarisch triumphierenden, aber auch den verletzten und alternden Peter Prange. Hautnah und ungefiltert. Wieviel Mut gehört dazu, sich für das literarische Publikum so zu öffnen?
Peter Prange: Über diese Frage habe ich keine Sekunde lang nachgedacht. Obwohl ich in diesem Buch tatsächlich sehr viele Einblicke in mein Innenleben gebe, habe ich den Protagonisten immer wie eine meiner Romanfiguren empfunden und entsprechend schonungslos behandelt. Wie in allen meinen Romanen versuche ich einfach nur nachzuzeichnen, wie nun dieser Protagonist, sprich: mein sogenanntes „Ich“, derjenige wurde, der er ist. In dieser Perspektive ist es ein Gebot der literarischen Redlichkeit, den „Helden“ in möglichst allen seinen Facetten darzustellen. Das schließt auch seine Backside ein. Ohne zu fragen, ob diese ihn in einem vorteilhaften Licht erscheinen lässt oder eher nicht.
Was bedeutet der Titel des Buches „Alle Erinnerung ist Gegenwart“, ein Novalis-Zitat, für Sie persönlich?
Peter Prange: Das Zitat bringt in nur vier Worten auf den Begriff, was ich mein Leben lang schreibend versucht habe: die Vergegenwärtigung der Vergangenheit. Denn was war, ist nicht vorbei. Es begleitet uns – in unseren Gedanken, in unseren Gefühlen, in unseren Entscheidungen. Erinnerung ist kein Archiv, sondern ein Resonanzraum. Was vergangen war, lebt weiter – in unseren Träumen, in unseren Ängsten, in unseren Geschichten. Dieses Buch ist der Versuch, einige dieser Spuren für mich selbst sichtbar zu machen. Im Erinnern und Erzählen. Eine Sentimental Journey, die mir die unverhoffte Möglichkeit gab, mich im fortgeschrittenen Alter selbst noch einmal neu kennenzulernen.
Und was steckt hinter der Bezeichnung „Ein Stundenbuch“?
Als Stundenbuch bezeichnete man in der christlichen Tradition ein oft prachtvoll illustriertes Andachtsbuch, das Gebete, Beichtformeln und andere liturgische Texte enthielt, die zu bestimmten Stunden des Tages - daher der Name - memoriert wurden. Vor allem im Mittelalter beliebt, stand es für den Übergang von der kollektiven zur individuellen Frömmigkeit. Mit meinem Stundenbuch greife ich diese Tradition auf, doch nicht in einer liturgischen, sondern literarischen, anekdotisch reflektierender Adaption. Die alte Form des religiösen, dogmatisch-verbindlichen Andachtsbuchs wird so zu einem subjektiven Denk-, Empfindungs- und Erinnerungsraum.
Wie fühlt man sich, wenn man plötzlich selbst zum Protagonisten seiner Geschichte wird, und auf seine eigene Vergangenheit blickt wie auf einen Roman? Oder anders gefragt: Wieviel Dichtung steckt im Stundenbuch?
Peter Prange: Warum Interessen wir uns für fiktive Geschichten? Meine Vermutung: Weil das Ich selbst eine Fiktion ist. Unser Leben besteht aus unzähligen Augenblicken, von denen wir jedoch nur eine lächerlich kleine Anzahl aktiv erinnern. Die unendlich vielen Lücken dazwischen ignorieren wir oder füllen sie bei Bedarf mit mehr oder weniger frei halluzinierten Erlebnisbruchstücken auf, als wären wir unser eigenes ChatGPT. Schließlich wollen wir alle eine Persönlichkeit sein, sprich: ein irgendwie in sich stimmiges Ganzes. Ich glaube, in meinem Stundenbuch steckt deshalb genauso viel Dichtung, wie mein eigenes Ich in jeder meiner Romanfiguren steckt. Nur wenn ich zumindest Anteile meiner Romanfiguren in mir selbst entdecke, kann ich diese zu wahrem Leben erwecken - ansonsten bleiben sie tote Pappkameraden. Insofern ist jede Form von Fiktion letztlich eine Art Autofiction. Weshalb mein Stundenbuch mit meinen Romanen mehr gemeinsam hat, als es auf den ersten Blick scheinen mag.
Wenn Sie auf ihr bisheriges Leben blicken, haben Sie als Autor in ihrem Fach wohl alles erreicht, was man erreichen kann. Sie werden in einem Atemzug mit den großen Romanautoren des vergangenen Jahrhunderts genannt, Heinrich Mann oder Lion Feuchtwanger. Dennoch scheint es, als wenn der historische Roman heute nicht das Ansehen genießt, wie in letztes Jahrhundert. Ja bei manchen als „Trivial-Literatur“ gilt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Peter Prange: Horaz hat in seiner Ars Poetica vor über zweitausend Jahren folgendes Postulat aufgestellt: „Die Schriftsteller wollen entweder unterhalten oder nützen; oder aber beides miteinander verbinden“ (Vers 333) Der klassische historische Roman leistet genau dies: In spannenden Geschichten vermittelt er Einsichten über unsere Geschichte und damit über unser eigenes Gewordensein. Leider befindet sich der historische Roman heute in einer Krise. Ein Grund dafür ist paradoxerweise der überragende Erfolg dieses Genres in den Nullerjahren. Damals führten historische Romane regelmäßig die Bestsellerlisten an. Allerdings ließ die Historizität vieler dieser Romane sich vor allem daran erkennen, dass es keine Autos oder Zentralheizung gab. Sprich: Die Geschichten lebten ausschließlich von ihrem Unterhaltungswert. Zwar waren sie eingebettet in eine vermeintlich historische Kulisse, doch war diese in Wahrheit nur pittoresker Natur und hatte mit der wirklichen Geschichte so wenig zu tun wie Disney World mit unserer Gegenwart. Das führte dazu, dass viele Leser, die an seriöser historischer Bildung interessiert waren und deshalb früher gern historische Romane lasen, sich von diesem zunehmend unseriösen Genre abwandten. Diese Entwicklung zog auch solche Autoren in Mitleidenschaft, die versuchten, das Fähnlein der Aufrechten hochzuhalten.
In „Alle Erinnerung ist Gegenwart“ verändern Sie nicht nur die Thematik, sondern auch Ihren Schreibstil. Statt die komplexe Architektur ihrer oft an die 1000 Seiten langen Romane, erinnert ihr intuitiver, assoziativer und fragmentarischer Duktus im Stundenbuch eher an einen Walter Benjamin.
Peter Prange: Danke für die Blumen - Komplimente sind grundsätzlich willkommen, auch wenn sie noch so übertrieben sind… Im Ernst: In meinen Romanen versuche ich, durch strukturierte Geschichten ein wenig Ordnung in das Chaos „der“ Geschichte zu bringen, um dieser so etwas wie einen Sinn abzugewinnen. In meinem Stundenbuch tue ich das nicht; hier setze ich mich dem Chaos des Lebens ungeschützt aus, ohne zu versuchen, meinen Lesern eine durchstrukturierte Ordnung vorzugaukeln, wo in Wahrheit leider sehr wenig Ordnung herrscht. Ob das Ganze trotzdem einen Sinn ergibt, überlasse ich meinen Lesern. Insofern haben diese bei der Lektüre Gelegenheit, zu Autoren meines Lebens zu werden.
Im Stundenbuch erzählen Sie ihr Leben nicht chronologisch, wie man es von typisch biografischen Texten her kennt, sondern anhand der Kernthemen, um die sich unser ganzes Dasein versammelt: Leben, Hoffen, Lieben, Arbeiten, Altern, Glauben und Sterben. Können Sie uns exemplarisch ein paar zentrale Einsichten skizzieren, die es aus ihrem persönlichen Leben in dieses Buch geschafft haben.
Peter Prange: Weil das Buch vom „Werden und Vergehen“ handelt, hier vielleicht nur diese eine Einsicht, gleichsam exemplarisch. Unser Leben lang sind wir dazu verdammt, uns immer wieder Entscheidungen zu treffen, jeden Tag auf Neue, vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Doch ob und wann wir in dieses Leben eintreten und dass wir aus diesem irgendwann unweigerlich wieder scheiden werden, das liegt nicht unserem Ermessen. Wir werden geboren, ob wir es wollen oder nicht, und wir müssen sterben, so sehr wir vielleicht auch am Leben hängen mögen. Und das ist gut so. Weil unser Leben so eine Mischung aus eigener Wahl und Schicksal ist – genau wie jede wirklich gute Geschichte. Außerdem ist der Todmeiner Meinung nach nicht, wie allgemein empfunden, der Feind des Lebens, sondern sein Freund. Weil nur durch die Begrenzung unseres Daseins der einzelne Moment seine besondere Bedeutung gewinnt.
Was beim Lesen des Stundenbuches sofort auffällt. Das mit „Arbeit“ betitelte Kapitel ist mit Abstand das längste. Ist Peter Prange ein „Workaholic“?
Peter Prange: Nein, im Grunde meines Wesens bin ich sogar ein ziemlich fauler Hund. Aber da ich nichts anderes kann, als Geschichten erzählen, und ich mich auch für nichts anderes wirklich interessiere, ist mir gar nichts anderes übriggeblieben, als mit der Zeit ziemlich fleißig zu werden. Und siehe da: Arbeit kann durchaus erfüllend und sogar sinnstiftend sein. Aber das hat Siegmund Freud ja schon immer gewusst.
Apropos Arbeit. Sind, neben ihren großen Romanen, auch weitere Table Books im Stil des „Stundenbuches“ zu erwarten?
Peter Prange: Durch die eher zufällig entstandene Zusammenarbeit an einem Buchprojekt bin ich seit einiger Zeit in intensivem Austausch mit einer Krebsforscherin und Molekularbiologin, die vom Alter her meine Tochter sein könnte – Hanna Heikenwälder ist ihr Name. Obwohl wir in unserem Denken sehr unterschiedlich geprägt sind und die Welt und das Leben daher aus ganz unterschiedlichen Perspektiven heraus versuchen zu verstehen, kommen wir manchmal zu erstaunlich ähnlichen Schlüssen. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Dialogbuch zwischen einer jungen Naturwissenschaftlerin und einem alten weißen Salonwissenschaftler über Fragen wie nach dem Glück oder dem Bösen in der Welt auch für Dritte interessant sein könnte. Allerdings sollte ein solches Buch mehr Bilder von Hanna als von mir enthalten.
Zum Abschluss noch die fast obligatorische Frage: Was macht der Roman-Autor Peter Prange an seinem 70. Geburtstag?
Peter Prange: Meine Standardfloskel zu allen meinen Geburtstagen lautet: „Von Beileidsbekundungen auf dem Wege zum Grabe bitten wir Abstand zu nehmen…“ Soll heißen: Nichts besonderes. Wenn ich den Tag überlebe, ohne größeren Schaden an Leib und Seele zu nehmen, will ich zufrieden sein.
Und dann? Im Stundenbuch finden sich Themen für mindestens 100 neue Bücher.
Peter Prange: „Had we but world enough, and time …“ In diesen Seufzer Andrew Marvells, den der Literaturwissenschaftler Erich Auerbach seinem berühmten Hauptwerk „Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“ als Motto vorangestellt hat, stimme ich ein. Bei der Durchsicht meines Zettelkastens bin ich nämlich zu dem Ergebnis gelangt, dass ich weit über hundert Jahre alt werden müsste, um all die Ideen zu realisieren, die dort noch ihrer Umsetzung harren – und damit nicht genug, kommen noch immer wieder neue hinzu. Ich werde also weiterschreiben, so lange es mir meine körperliche und geistige Verfassung erlaubt. In der Hoffnung, dass ich bei der Fahnenkorrektur einer Novelle, in der es um die Endlichkeit eines Autors geht und die ich bereits sehr deutlich vor Augen habe, dermaleinst mein Leben aushauche.